Gemeinhin wird der ITF als Nonplusultra des Schienenpersonenverkehrs gesehen. Dies ist auch daran zu sehen, dass man in Deutschland mit dem Deutschlandtakt versucht ein ähnliches Modell wie in der Schweiz umzusetzen. Und die Schweiz ist schließlich DAS Vorbild in Sachen Bahnverkehr. Wie erfolgreich das sein wird, muss sich allerdings erst noch zeigen, denn der Weg ist lange und steinig. Dabei ist noch nicht einmal erwiesen, dass ein ITF nach Schweizer Vorbild genau das Richtige ist für Deutschland. Der ITF ist nämlich kein Selbstzweck und auch kein Allheilmittel, auch wenn man das manchmal so meinen könnte. Dies zeigen unter anderem auch die aufgeführten Nachteile. Grundsätzlich soll das System der Öffentlichen Verkehrsmittel möglichst viele Menschen dazu bewegen Bahnen und Busse zu nutzen und dabei ein schnelles und komfortables Reisen ermöglichen. Dies ist nicht zwingend an einen ITF gebunden.
Gerade die aufgezeigten Nachteile veranschaulichen, dass ein ITF auch an seine Grenzen kommen kann. Das spürt man auch in der Schweiz, wo man große Summen investieren musste, und immer noch muss, um die Infrastruktur auch bei wachsendem Fahrgastaufkommen, und damit auch mehr Zügen, ITF-fähig zu halten. Gerade die großen Knoten wie Zürich wurden dabei sehr komplex. Das betrifft sowohl die Übersichtlichkeit für den Fahrgast als auch die Infrastruktur selbst.
Um zu sehen wohin sich ein ITF langfristig entwickelt, lohnt sich ein Blick in das Land wo der ITF erfunden wurde: In die Niederlande. Dort wurde inzwischen wieder Abstand genommen von ITF. Auf fast allen Verbindungen zwischen größeren Städten, vor allem aber im Bevölkerungsreichen Gebiet der Randstad, fahren Intercity-Züge heute alle 10 Minuten. Nur auf Strecken außerhalb des Kernbereiches ist der Takt ausgedünnt. So fahren beispielsweise zwischen Zwolle und Groningen „nur“ 2 Intercitys und 2 Regionalzüge pro Stunde und Richtung.
Dieser dichte Takt hat zur Folge, dass man an wichtigen Knotenbahnhöfen den Fahrplan nicht mehr auf Anschlussverbindungen auslegen muss. Beim Umsteigen fährt der nächste Zug ohnehin in maximal 10 Minuten. Das ist eine Umsteigezeit die selbst beim ITF oft nicht erreicht wird. Dabei hat diese Vorgehensweise auch den Vorteil, dass sich die Komplexität der Infrastruktur reduzieren lässt, und das bei mehr Verkehr. So konnte beispielsweise die Anzahl der Weichen im Knotenpunkt Utrecht von ca. 200 auf ca. 60 Weichen reduziert werden4. Im Grunde muss man sich das Intercity-Netz der Niederlande heute wir ein großes S- oder U-Bahn-Netz vorstellen.
Möglich wird dies unter anderem dadurch, dass man die Anzahl der verschiedenen Zuggattungen auf drei reduziert hat, wobei die höchste Zugkategorie (Intercity Direct) nur auf einer Relation verkehrt. Fast das ganze Land kommt also mit nur zwei Zuggattungen zurecht (Intercity und Sprinter, der einem Regionalzug entspricht). Diese Reduzierung der Zuggattungen bewirkt, dass die Züge öfter fahren. Anstatt also auf einer Strecke mit vier verschiedenen Zügen zu fahren die alle unterschiedlich lange brauchen und unterschiedliche Halte bedienen, kann mit nur zwei Zuggattungen jeweils ein Halbstundentakt hergestellt werden. Dies erhöht für den Fahrgast die Verfügbarkeit und vereinfacht die Betriebsabläufe.
Nachteilig an diesem Konzept ist, dass die Züge dann immer die gleichen Haltestellen anfahren. So hält ein Zug immer oder nie an einer Haltstelle. Grundsätzlich wird eher an mehr Haltestellen gehalten, was den Zug langsamer macht. Dies wird aber durch die guten Anschlussverbindungen und den dichten Takt ausgeglichen. Ein weiterer Nachteil ist die geringere Anzahl an Direktverbindungen. Man muss sich das tatsächlich wie ein U-Bahn-Netz vorstellen. Zu allen Stationen, die nicht an einer Linie liegen, muss man eben umsteigen.
Dass dieses Konzept durchaus auch in der Schweiz Anklang findet, ist daran zu erkennen, dass es in der Schweiz ebenfalls Überlegungen gibt dieses Konzept einzuführen, zumindest auf wenigen Verkehrsachsen.
Die Frage, die sich aus deutscher Sicht stellt, ist nun, ob dieses Konzept auch in Deutschland denkbar wäre. Nehmen wir als Beispiel um dieses Modell zu veranschaulichen die Verbindung von Stuttgart nach München (Die hier erfolgte Überlegung könnte natürlich ebenfalls an anderen Korridoren erfolgen). Im zweiten Entwurf zum Deutschlandtakt waren hier vier Züge des Fernverkehrs pro Stunde und Richtung geplant. Im dritten Entwurf wurde dies zwar auf 3,5 Züge reduziert, vier Züge scheinen aber durchaus realistisch zu sein.
Diese vier Züge sind 2 ICE die in Ulm, Augsburg und München-Pasing halten (sozusagen der Standard-ICE), einen zweistündlichen TGV mit den gleichen Zwischenhalten, einen zweistündlichen ICE-Sprinter ohne Zwischenhalt und einen IC der zusätzlich am Flughafen Stuttgart (nur alle zwei Stunden) und in Günzburg hält. Dabei schwankt die Fahrzeit zwischen 1h30min und 1h52min.
Nun könnte man aber auch alle Züge in einem Viertelstundentakt verkehren lassen. Das würde bedeuten, dass z.B. in Ulm und Augsburg nicht mehr auf Anschlüsse zwischen Nah- und Fernverkehr geachtet werden muss. Die Umsteigeverbindungen zum Fernverkehr sind dann immer gut.
Man könnte sich stattdessen also darauf konzentrieren die meist nur stündlichen fahrenden Regionalzüge so abzustimmen, dass ein Umsteigen zwischen diesen Zügen leicht möglich ist. Die Fahrplangestaltung würde also stark vereinfacht. Damit würde man allen voran den Zwang aus dem deutschen Bahnnetz nehmen, in jeder größeren Stadt einen möglichst reinen ITF-Taktknoten zu schaffen.
Jedoch ist zu bedenken, dass so ein Viertelstundentakt bedeutet, dass die Züge dann immer an den gleichen Zwischenhalten stoppen müssten. Ulm und Augsburg wären als Halte wohl gesetzt. Günzburg und den Flughafen Stuttgart würde man wohl eher nicht alle 15 Minuten anfahren wollen. Einzelne Halte wiederum nicht immer zu bedienen würde aber eine Abkehr vom reinen 15-Minuten-Takt bedeuten.
Dieses Beispiel macht aber auch deutlich, dass die Infrastruktur in Deutschland überhaupt nicht für so ein Szenario geeignet ist. Würden beispielsweise alle Züge am Flughafen Stuttgart halten dann bräuchte man die am Flughafen vorbeiführende Strecke überhaupt nicht. Würden alle Züge am Flughafen vorbei fahren so würde die Flughafenanbindung gerade noch für den Regionalverkehr gebraucht.
Ein anderes absehbares Problem in Deutschland dürfte der politische Wille sein auf Fernverkehrshalte zu verzichten. Günzburg ist hierfür ein gutes Beispiel. Für eine eher kleine Stadt wird hier ein Fernverkehrshalt vorgesehen und gefordert der sich, zumindest in diesem Konzept, gesamthaft eher als Nachteil darstellt.
Diese politischen „Einzelforderungen“ ohne Rücksicht auf das Gesamtkonzept sind ohnehin eines der größten Probleme für ein deutschlandweit einheitliches Bahnverkehrskonzept. Dies dürfte eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem „niederländischen Taktfahrplan“ sein. Grundsätzlich scheint so ein Konzept aber zumindest auf den Hauptachsen möglich zu sein. Schaut man sich die Planungen für den Deutschlandtakt an so finden sich auf vielen Strecken mindestens vier Fernzüge pro Stunde und Richtung.
4 Stähli, Luigi (2019), „Wo ist ein (Takt-)Fahrplan heute und morgen sinnvoll“?, SMA+Partner AG, 19.08.2019
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