Im Jahr 2009 unternahm ich eine “kleine” Reise per Bahn: Quer durch die USA von New York bis San Francisco. Während der mehr als 5500 km entstand folgender Reisebericht. Viel Spaß damit:

New York City – Albany

Endlich ist es soweit. Es ist Mittwoch, 17. Juni 2009, 3:54 pm. Vor wenigen Minuten bin ich in der Penn Station in New York City den „Lake Shore Limited“ nach Chicago gestiegen. Noch stehen wir im unterirdischen und düsteren Bahnsteigbereich des einst so prächtigen Bahnhofes und warten auf die Abfahrt. Dann ist es soweit: Fast unmerklich und sanft setzt sich der Zug pünktlich in Bewegung. Wir rollen! Ich kann es kaum fassen, dass meine Zugreise durch den ganzen Kontinent endlich beginnt. Wie ein kleiner Junge sitze ich da, starre aus dem Fenster und harre der Dinge die da kommen.

Zuerst fahren wir in langsamem Tempo durch ausgedehnte Tunnelanlagen die geschmückt sind mit Müll und Graffiti. Fast zwangsläufig kommen mir Worte aus Simon and Garfunkel‘s „Poem on the Underground Wall“ in den Sinn:

“Now from the pocket quick he flashes
the crayon on the wall he slashes.
Deep upon the advertising,
a single word poem comprised
of four letters.”

Hin und wieder erhasche ich einen Blick auf den Hudson River der den Zug auf seiner Reise noch lange Zeit begleiten wird. Doch noch versperren immer wieder Betonwände, Gebäude oder Straßenbrücken die Sicht auf den Fluss. Immer wieder beschleunigt der Zug und bremst kurze Zeit später scheinbar grundlos wieder ab.

Nach einiger Zeit unterqueren wir die George-Washington-Bridge, die einzige Brücke zwischen Manhattan und New Jersey. Auf der einst längsten Hängebrücke der Welt staut sich der Verkehr. Brücken über den Hudson gibt es nur wenige: Die nächste folgt erst wieder in knapp 40 km.

Wenige Minuten später ist es endlich soweit: Der Hudson liegt in voller Breite von über 1000 m neben uns. Nur wenige Meter neben dem Wasser herfahrend nehmen wir langsam aber sicher mehr Fahrt auf. Die Sicht auf den Hudson wird auf weiten Strecken bis Albany nur noch vereinzelt von Siedlungen und wenig gepflegt wirkenden Industrieanlagen unterbrochen.

Ein erster kleiner Höhepunkt wird erreicht, als wir auf einer nahezu 200 Meter langen Schwenkbrücke fast auf Wasserhöhe den Harlem-River-Ship-Canal überqueren. (Der Harlem River ist die Wasserverbindung zwischen dem Hudson und dem East River, und macht so Schifffahrten um Manhattan herum möglich).

Früher ein wichtiger Wasserweg der in Kombination mit dem Eire-Canal von New York City aus den Zugang zu den Großen Seen ermöglicht hat, scheint der Hudson heute ein Paradies für Wassersportler zu sein, denn immer wieder gibt es kleine Yachthäfen am Ufer. Auch einen Angler, der an einer Stelle verbotenerweise die Gleise überquert haben muss, sehe ich am Wasser stehen.

Wir halten kurz in Croton-Harmon um einige Passagiere an Bord zu nehmen. Den Stop nutzen die rauchenden Fahrgäste schnell für eine Pause an der frischen Luft, denn Rauchen ist im gesamten Zug verboten.

Weiter geht es rüttelnd und schüttelnd auf den für deutsche Verhältnisse sich in miserablem Zustand befindenden Gleisen, was meiner ohnehin nicht sehr leserlichen Schrift nicht gerade zuträglich ist (Die Gleise der Hudson-Line befinden sich, für amerikanische Verhältnisse unüblich, in öffentlicher Hand). Trotzdem ist die Reise in den Amtrak-Wagen sehr komfortabel. Die Sitze sind bequem und breit, und die Beinfreiheit ist selbst für mich mit knapp über 180 cm mehr als ausreichend. Dazu gibt es Fußrasten und die Sitzlehnen lassen sich weit zurückneigen. Meiner ersten Nacht im Zug sehe ich deshalb erst einmal gelassen entgegen.

Blick aus dem Zug auf den Hudson-River

Für die 18-stündige Reise nach Chicago habe ich übrigens meinen Koffer, ähnlich wie im Flugzeug, als Gepäck aufgegeben. Es ist zwar auch möglich den Koffer mit in den Zug zu nehmen, das Kofferschleppen am Bahnsteig ist aber sehr umständlich und außerdem empfiehlt Amtrak den Fahrgästen das Gepäck aufzugeben. Die meisten Passagiere nutzen diesen Service auch. Ihre Koffer mit an Bord nehmen hauptsächlich die Fahrgäste, die an Stationen Ein- und Aussteigen an denen der Service des Gepäckaufgebens nicht verfügbar ist, denn das geht nur in den größeren Städten.

Nach ca. zweieinhalb Stunden Fahrt erreichen wir die Hauptstadt des Bundesstaates New York, Albany bzw. den Bahnhof in der Nachbarstadt Rensselear, wo sich auch eine Wartungswerkstätte der Amtrak befindet. In Albany werden die beiden Zugteile des Lake Shore Limited aus Boston und New York zusammengekuppelt. Der recht neue Bahnhof hat dem Eisenbahnfreund nicht nur das Rangiermanöver des bereits am Bahnhof wartenden Zugeteiles aus Boston, sondern auch noch regen Betrieb durch zwei weitere Amtrak Züge zu bieten.

In Albany wird die Lok unseres Zuges abgekuppelt. Es handelt sich dabei um eine Sonderausführung mit einer seitlichen Stromaufnahmevorrichtung (third rail shoe), so dass die Lok auch ohne eingeschalteten Dieselmotor die unterirdischen Bahnhofsanlagen von New York City anfahren kann. Dort dürfen nur elektrisch angetriebene Züge fahren. So fahren die Züge dann elektrisch durch die Tunnel und auf freier Strecke dann mit Diesel-Power.

Bis Chicago werden uns die beiden „Genesis“ Zugmaschinen ziehen die den Bostoner Zugteil bereits bis Albany gezogen haben.

Am Bahnhof Albany-Rensselaer können Fahrgäste das Zusammenkuppeln der Zugteile aus New York und Boston beobachten.

Der Bostoner Zugteil wird rückwärts an unsere im Bahnhof stehenden Wagen rangiert und angekuppelt. Erst dann dürfen die in Albany wartenden Passagiere in den Zug steigen. Während des Rangiermanövers darf man sich auf dem Bahnsteig aufhalten und auch ich vertrete mir dort etwas die Beine. Am Bahnsteig treffe ich auf Willie, einem Eisenbahnfanatiker aus South Dakota der mir nicht nur oben genanntes technisches Detail erklärt, sondern sich sogar die Anzahl der Wagen und deren Typen notiert. Dass Willie aus South Dakota kommt ist umso verwunderlicher, da der gesamte Bundesstaat keinen Anschluss an das Amtrak-Netz hat. Willie wird in Chicago nachmittags den „Empire Builder“ nehmen und bis Williston in North Dakota fahren. Von dort sind es nochmals weitere sechs Stunden per PKW zu seinem Wohnort. In dem äußerst dünn besiedelten Gebiet sei die Straße schlecht und an Handy-Empfang nicht zu denken.

Albany – Chicago

Kurz nach Albany erreichen wir den Eire-Canal den wir für einige Zeit begleiten. Um 7:30 pm gehe ich in den Speisewagen um mein Abendessen einzunehmen. Schon vor Albany ging ein Kellner aus dem Speisewagen durch den Zug um Reservierungen entgegen zu nehmen. Im Speisewagen werde ich zu einer älteren Frau an den Tisch gesetzt. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters von fast 80 Jahren scheint sie es noch ein Mal wissen zu wollen, denn sie ist gerade zu einer mehrere Monate dauernden Reise um die halbe Welt aufgebrochen. Ich bin mit meinen drei Wochen Urlaub fast ein wenig neidisch, aber lasse mir den Appetit auf mein leckeres Abendessen davon sicher nicht nehmen.

Leider wird das Essen in den meisten Amtrak Zügen heute auf Plastik-Tellern serviert. Den Luxus von Porzellangeschirr gibt es nur auf zwei Zügen im Westen.

Am Eire Canal entlang rumpeln wir in die Dämmerung. Als ich nach dem Essen zurück an meinem Platz bin ist es draußen fast schon komplett dunkel, so dass kaum noch etwas zu erkennen ist. Ausgerüstet mit Kopfkissen (welches sehr klein ist und von einem Schaffner ausgeteilt wird) und Decke richte ich mich auf meine erste Nacht im Zug ein. Wirklich gut schlafen kann ich nicht, doch der spätere Vergleich mit dem Fahrplan und wenig Müdigkeit am anderen Morgen zeigen, dass ich immer wieder einige Stunden geschlafen haben muss.

Früh morgens um 6:25 am rollen wir langsam in Toledo, Ohio, ein. Der Zug hat ein halbe Stunde Verspätung. Doch bei mittlerweile über 14 Stunden Zugfahrt fällt das kaum ins Gewicht. Die noch vorhandenen 6 Bahnsteige für 12 Gleise lassen auf einen einst regen Betrieb schließen. Heute allerdings rottet der Bahnhof mehr oder weniger vor sich hin. Nur noch ein Bahnsteig kann benutzt werden. Wie fast überall in den USA halten hier nur noch wenige Züge täglich. In diesem Falle sind es nur deren zwei pro Richtung, also insgesamt vier.

Nachdem es jetzt weiter Richtung Chicago geht, sehe ich dass das eintritt, was mir Willie am Abend davor schon prophezeit hat: Der Zug ist je näher wir nach Chicago kommen bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten neuen Passagiere kamen mitten in der Nacht in Cleveland, Ohio, an Bord. Ich bin in Cleveland kurz aufgewacht und habe mich über den Menschenandrang auf dem Bahnsteig gewundert. Seither ist der Zug gut gefüllt und ich habe auch einen „Nebensitzer“ bekommen.

Ab Toledo fahren wir auf der Air Line Route, wobei direkt nach Toledo ein Streckenabschnitt folgt auf dem es 110 km wie an der Schnur gezogen geradeaus geht. Auch nach diesem Abschnitt kommen nur wenige Kurven und der Zug macht mächtig Dampf. Seit wir nach Albany auf Hauptstrecken von privaten Eisenbahngesellschaften (in diesem Falle der Norfolk Southern) fahren hat sich auch die Qualität der Gleise und somit der Komfort deutlich verbessert.

Auf der Strecke herrscht reger Verkehr. Immer wieder begegnen uns für europäische Verhältnisse unvorstellbar lange Güterzüge. Irgendwann versuche ich bei einem der Züge die Anzahl der Wagen zu zählen, breche meinen Versuch aber bei über hundert Wagen ab.

Kurz vor Chicago durchfahren wir ausgedehnte aber auch teilweise verfallene Industrieanlagen, die sich aber fast ausschließlich in Gary im Bundesstaat Indiana befinden. Der Grund dafür ist einfach, denn die Stadt Chicago wusste frühzeitig zu verhindern, dass sich innerhalb des Stadtgebiets Industrie direkt am Lake Michigan ansiedelt. So mussten sich die Unternehmen den günstigen Transportweg zum See an anderer Stelle suchen.

Bis Chicago Union Station fahren wir fast ausschließlich durch bebautes Gebiet und die Anzahl der Gleisanlagen nimmt immer mehr zu. Chicago ist einer der wenigen Punkte wo alle großen privaten Bahngesellschaften aus den USA und Kanada zusammenkommen und daher auch der unumstrittene Bahnknoten in den USA. Das gilt auch für den Personenverkehr, was ich schnell daran sehe, dass der Bahnhof aus allen Nähten zu platzen scheint. Nach der Ankunft in der Union Station kämpfe ich mich durch die Menschenmassen zur Gepäckausgabe und nehme nach kurzer Wartezeit meinen Koffer in Empfang. Ein Taxi bringt mich zu meinem Hotel wo ich eine Nacht verbringe bevor es morgen dann heißt: Go West!

Blick aus dem Hotelzimmer auf die Hochbahn der Chicago „L“

Chicago – Mississippi

Am 19 Juni 2009 nachmittags bin ich wieder in der Union Station von Chicago und sitze im Wartebereich des belebten und mit Menschenmassen gefüllten Bahnhofes. Chicago zeigt sich seit heute morgen von seiner typisch windigen und regnerischen Seite und so bin ich froh dem Regen entkommen zu sein. Hier im Wartebereich ist es glücklicherweise etwas ruhiger wie im restlichen Bahnhof.

Ein Stück entfernt, am Eingang zum Bahnsteig, gibt eine resolute wirkende, alte Amtrak-Mitarbeiterin schwarzer Hautfarbe Befehle an die Fahrgäste. Verstehen was sie zu sagen hat kann ich leider nicht, da sie einerseits zu weit entfernt ist und andererseits aus dem Lautsprecher über mir parallel andere Durchsagen gemacht werden.

Nach einigen Minuten wird es mir zu dumm und ich laufe nach vorne. Dort finde ich heraus, dass ältere Fahrgäste und Familien mit kleinen Kindern vor den anderen Passagieren in den Zug  steigen dürfen. Ich komme schnell mit zwei Frauen ins Gespräch die die „Durchsagen“ ebenfalls nicht verstanden haben. Dabei gewinne ich nicht zum ersten Mal den Eindruck, dass Bahnfahren in den USA allen Unkenrufen zum trotz doch eine Alternative sein kann, sofern Ausgang und Ziel einer Reise in der Nähe einer von Amtrak bedienten Bahnstrecke liegen.

Betty ist Krankenschwester und fährt nach Grand Junction, Colorado, zurück wo sie lebt und arbeitet. Hier in Chicago hat sie eine Konferenz besucht. Linda fährt neben ihrem Gepäck auch mit Angel bewaffnet den relativ kurzen Weg nach Galesburg, Illinois. Für beide wären Flug oder Autofahrt umständlicher oder teurer als die Zugfahrt. Wir scherzen schon, dass wir als die drei letzten in den Zug einsteigen dürfen weil alle anderen wohl aus oben genannten Gründen das Gate schon passieren dürfen, aber es stellt sich heraus, dass der Zug wiederum mit Menschen jeglichen Alters und aus allen Bevölkerungsschichten besetzt ist. Wie auch schon im Lake Shore Limited befindet sich sogar eine Großfamilie vom Amischen oder eine ähnlichen Gemeinschaft an Bord.

Blick aus dem rückwärtigen Fenster des California Zephyr beim Verlassen von Chicago

Mittlerweile ist es später Nachmittag. Vor knappen drei Stunden bin ich in Chicago den California Zephyr gestiegen der mich in zwei Etappen bis in den Golden State bringen wird. Fährt man Non-stop bis Emeryville (San Francisco ist auf Gleisen nur über einen langen Umweg über San Jose erreichbar) ist man zwei Tage unterwegs. Meine Reise endet allerdings vorerst morgen früh in Denver wo ich mir eine Nacht im Hotel gönne.

Der California Zephyr hat Chicago pünktlich verlassen. Über eine halbe Stunde hat es gedauert die kaum enden wollenden Vororte der Metropole zu durchqueren. Erst danach lockert sich die Bebauung etwas auf und nach einer weiteren halben Stunde wird das intensiv genutzte Farmland nur noch selten von Siedlungen unterbrochen. Meist sind Farmen die einzigen Gebäude in den aus unzähligen kleinen Maispflanzen bestehenden, riesigen Feldern. Das Land ist leicht hüglig, die zwei Genesis Zugmaschinen des Zephyr haben mit den kurzen und leichten Steigungen aber keine Schwierigkeiten.

Vor einigen Minuten sind wir in einen Sturm gefahren. Starker Regen und heftige Windböen haben den Lokführer dazu veranlasst das Tempo zu drosseln. Immer wieder zucken Blitze und Donner ist zu hören. Mal scheint dies meilenweit weg zu geschehen, manchmal zu nah. Regen prasselt nicht nur gegen die Scheiben, sondern auch hörbar auf das Dach des Superliner-Wagens in dessen Obergeschoss ich es mir auf zwei Sitzen gemütlich gemacht habe. Die Superliner Wagen die Amtrak auf den Routen im Westen des Landes einsetzt sind wesentlich angenehmer und ruhiger während der Fahrt als die Amfleet-Wagen auf der Strecke von New York nach Chicago.

Mittlerweile hat der Zug komplett gestoppt. Dies geschieht in den USA durch den Fahrdienstleiter der in bestimmten Wettersituationen den kompletten Verkehr auf einem Streckenabschnitt einstellt. Heftige Gewitter, mitunter sogar Tornados wurden für diese Gegen vorhergesagt, weshalb eine gewisse Vorsicht der Verantwortlichen nachvollziehbar ist. Der Regen ist jetzt noch heftiger und läuft außen an den Scheiben herunter und trübt die Sicht noch weiter so dass ich nur mit Mühe erkennen kann wie starker Wind über die Getreidefelder peitscht. Nach etwa 15 Minuten klart der Himmel wieder etwas auf und wir nehmen wieder Fahrt auf, allerdings rollen wir nur sehr langsam.

Der Grund für die Langsamfahrt entpuppt sich wenig später als Gleisbauarbeiten auf dem Nachbargleis. Wie auch die gesamte Strecke von Albany bis Chicago ist auch diese Strecke in sehr gutem Zustand. Meine Vermutung, dass gerade die großen privaten Bahngesellschaften ihre Infrastruktur, zumindest auf den Hauptstrecken, gut in Schuss halten bestätigt sich hier. Auch die Güterzüge sind fast ausschließlich mit modernsten Lokomotiven bespannt. Nach der Baustelle geht es wieder etwas zügiger voran.

Inzwischen werden aus dem Speisewagen in regelmäßigen Abständen Fahrgäste zum Abendessen gerufen. Reservierungen zum Essen werden in 15-Minuten Intervallen vergeben um Völkerwanderungen von und zum Speisewagen und zu großen Andrang zu einem Zeitpunkt zu verhindern. Meine Zeit ist 7:15 p.m. Wenn wir allerdings im aktuellen Tempo eines Freizeitradfahrers, das sich wieder einmal eingestellt hat, weiterfahren werden wir bis dahin vielleicht gerade den Mississippi erreicht haben.

Mit bereits über einer Stunde Verspätung stoppen wir in Galesburg, immer noch im Bundesstaat Illinois. Ich steige aus in den nicht mehr so starken Regen um eine neben dem Bahnhof stehende „Hudson“-Dampflok und zwei Pullmann Wagen zu fotografieren, bleibe aber, im Gegensatz zu den Rauchern, nicht länger im Regen als nötig.

Eine Caboose am Bahnhof in Galesburg

Inzwischen ist auch wieder Gegenverkehr auf der Strecke zu beobachten. Dieser besteht fast ausschließlich aus Kohleganzzügen. Kohle die vermutlich aus dem Powder-River-Basin stammt und nach Osten transportiert wird um den Energiehunger der Nation zu stillen.

Nach zwischenzeitlich wieder höherer Geschwindigkeit bremst der Zug kurz vor 7 Uhr abends wieder ab. Dieses Mal allerdings nicht grundlos, denn sumpfähnliche Wälder und Tümpel kündigen die Überquerung des Mississippi an. Kurz bevor wir auf einer Stahlbrücke den größten Strom Nordamerikas überqueren begebe ich mich in das untere Deck des Wagen um mit ungetrübtem Blick fotografieren zu können. Dies ist auf dem unteren Deck möglich, da sich dort, in die Türen eingelassen, die einzigen Fenster im Zug befinden die sich zwar verbotenerweise, aber doch, öffnen lassen.

Der Mississippi ist an dieser Stelle etwa 600 Meter breit, und das obwohl die größten Zuflüsse erst später in den Mississippi münden. Auf der anderen Seite des Flusses heißt es dann: Willkommen in Iowa!

Mississippi – Denver

Um ca. 9 p.m. kehre ich aus dem Speisewagen zurück wo ich gerade ein weiteres Mal ein Abendessen im Zug genossen habe. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie die Kellner die Teller durch den Speisewagen jonglieren und obwohl sie dabei selbst oft bedrohlich hin und her schwanken scheint es zu keinen „Unfällen“ zu kommen. Allerdings erzählt uns unser Kellner, dass er sich vor ein paar Wochen rücklings auf einen Tisch gesetzt hat…

Ist man alleine unterwegs wird man zum Essen immer sofort mit anderen Fahrgästen an einen Tisch gesetzt. So lernt man schnell viele Menschen aus verschiedenen Teilen des Landes kennen. Europäer sind in diesem Zug übrigens fast so selten wie hohe Berge im Mittleren Westen.

Nach wieder einmal gefühlsmäßig zu wenig Schlaf, aber recht guter körperlicher Fitness sitze ich am anderen morgen um 5 Uhr wach im Zug und beobachte wie es langsam hell wird. Einen Sonnenaufgang in der Prärie gibt es leider nicht zu bestaunen. Der Himmel ist dicht mit Wolken verhangen. Die Landschaft wird zusehends karger. Landwirtschaft scheint nur noch mit aufwändiger Bewässerung möglich zu sein. Bewässerungsanlagen ragen wie riesige Baugerüste über die Felder hinweg und liefern den meist mickrig aussehenden Pflanzen das ersehnte Nass. Dort wo die Fläche nicht genutzt wird ist das Gras gerade einmal kniehoch. Hin und wieder stehen in den Feldern Windpumps (kleine Windräder aus Holz zur Wasserförderung wie man sie aus Western-Filmen kennt) und lassen einen Hauch von Wildweststimmung aufkommen, auch wenn das Grün der Landschaft eher an Almweiden erinnert.

Mit einer knappen halben Stunde Verspätung haben wir soeben den letzten Stopp vor Denver passiert. Das heißt auch, dass wir die Grenze nach Colorado überquert haben müssen und hier die Uhren wieder anders gehen, nämlich in Mountain Time, 8 Stunden hinter Mitteleuropäischer Zeit, denn an der Staatsgrenze überquert man auch eine Zeitzonengrenze. Nach dem Wechsel von Eastern Time zu Central Time kurz vor Chicago ist das für mich bereits das zweite Mal während dieser Reise dass ich eine Zeitzonengrenze überschritten habe.

Wie man sich täuschen kann in Zeit und Raum: Der letzte Stopp war in Wirklichkeit der Vorletzte vor Denver. Am Bahnhof Stationsschilder zu erkennen ist übrigens schwierig, da es meist nur eines gibt. Und wenn man nicht gerade auf der richtigen Seite oder an der richtigen Stelle im Zug sitzt, kann man schon einmal den Ortsnamen verpassen. Übrigens genauso selten an den Bahnsteigen sind Uhren.

Dass etwas mit meiner zeitlichen Einschätzung nicht stimmt merke ich erst beim Frühstück wo ich noch um 7:30 mit netter Gesellschaft zusammensitze, wir immer noch durch die Prärie rattern und von Denver noch weit und breit nichts zu sehen ist. Dafür fallen immer mehr Ranches ins Auge wo vermutlich mehrere tausend Rinder in ihren Weiden zusammengepfercht sind.

Denver erreichen wir letztendlich mit fast zwei Stunden Verspätung. Aber was sind schon zwei Stunden nach über 18 Stunden Zugfahrt? So beklagt sich auch niemand. Zudem ist die Verspätung ja höherer Gewalt geschuldet. Nachdem ich an der Union Station in Denver meinen aufgegebenen Koffer zurück habe mache ich mich auf den Weg in mein Hotel.

Am nächsten morgen abfahrbereit in der Denver Union Station. Alles für die nächsten knapp 36 Stunden passt in einen Rucksack. Der Koffer ist aufgegeben.

Denver – Grand Junction

Am nächsten morgen mache ich mich schon früh wieder auf den Weg und stehe schon vor 7 Uhr wieder in der fast leeren Union Station von Denver wo ich ein weiteres Mal in den California Zephyr steigen werde, der mich dieses Mal auf der längsten Etappe meiner Reise bis in die Kalifornische Hauptstadt Sacramento bringen wird.

Die Nacht im Hotel hat sich nicht nur für die Erholung bezahlt gemacht, denn im Gegensatz zum Tag davor ist heute Morgen der Himmel strahlend blau und wolkenlos. Beste Sicht also für Fahrt durch die Rocky Mountains.

Kurz unterhalb der „Big Ten Curve“

Denver verlassen wir gerade einmal mit 40 Minuten Verspätung. Gut eine halbe Stunde geht es dann durch diverse Vororte der Hauptstadt Colorados unaufhaltsam dem großen Gebirge entgegen, das sich immer mächtiger vor uns auftürmt. Dann verlangsamt der Zug und der Aufstieg in die Rockies beginnt. In großen Serpentinen geht es den unbewaldeten Berghang empor. Kurze Zeit später geht es dann nur noch in nördlicher Richtung dem Berghang entlang, immer wieder durch Tunnels unterbrochen und stetig an Höhe gewinnend. Linkerhand fährt man oft scheinbar nur wenige Zentimeter an den rötlichen Felsen vorbei. Rechts geht der Blick weit in die Ebene der Great Plains.

Teilweise geht es nur knapp an Felsen vorbei.

Der Bundesstaat Colorado stellt für die Fahrt zwei Fremdenführer zur Verfügung die im Aussichtswagen die Fahrgäste mit Informationen versorgen. Obwohl dies sehr interessant ist führt dies leider dazu, dass der Aussichtswagen überbevölkert ist. So gehe ich immer wieder ins Untergeschoss meines Wagens um durch das Fenster in der Tür, welches ich abermals verbotenerweise öffne, den freien und ungetrübten Blick auf die Landschaft zu genießen.

Bereits eineinhalb Stunden nach Denver ist der höchste Punkt in Netz der Amtrak erreicht. Im 10 km langen und 2816 m hoch gelegenen Moffat-Tunnel wird die Kontinentale Wasserscheide in weniger als 10 Minuten überquert. Vor der Eröffnung des Moffat-Tunnel im Jahr 1928 kletterten die Züge hier sogar über den Rollins Pass bis auf über 3500m und benötigten dafür fünf Stunden.

Kurz vor dem Moffat Tunnel am South Boulder Creek.

Nur wenige Minuten nach dem Moffat-Tunnel folgt der Halt Fraser/Winter Park. Da direkt außerhalb der Ortschaft ein Skigebiet liegt, wird dieser Halt vor allem im Winter frequentiert. Jetzt im Sommer darf man sich in Fraser zur Freude der Fahrgäste auf dem Bahnsteig die Beine vertreten und dabei die frische Bergluft genießen. Der kurze Aufenthalt auf dem Bahnsteig wird wie üblich durch die „all aboard!“ („Alle an Bord!“) Rufe der Schaffner beendet.

Für einige Minuten geht es dann entlang des Fraser River durch den idyllischen Fraser Canyon bis zum nächsten Halt in Granby, von wo ab wir für die nächsten 320 km dem Colorado-River folgen werden. Ab hier geht es Schlag auf Schlag: In den nächsten drei Stunden fahren wir durch einen Canyon nach dem anderen. Nacheinander sind dies der Byers Canyon, der Gore Canyon, der Red Canyon und schließlich der Glenwood Canyon. Jeder der Canyons hat seinen eigenen Charakter mit anderen Felsformationen und –farben, und einer scheint spektakulärer als der Andere, so dass ich und alle anderen Fahrgäste aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Einzig den Glenwood Canyon muss man sich mit einer Autobahn teilen, in allen anderen Canyons ist man abgesehen von ein paar immer fröhlich dem Zug zuwinkenden Wassersportlern alleine.

Der California Zephyr im Gore Canyon

Unterbrochen werden die Canyons immer wieder durch Meadowlands, fruchtbarem Weideland an Stellen wo sich das Tal weitet und meist Kühe weiden. Da der Aussichtswagen nach wie vor überfüllt ist gehe ich immer öfter in den „Keller“ (so nenne ich das untere Deck des Wagens mittlerweile) und genieße ungetrübtes Sicht- und Fotovergnügen durch die Fenster in den Türen die ich wieder illegalerweise öffne. Immerhin dauert es fast bis Glenwood Springs bis ich dabei erwischt werde. Ich komme mit einer kurzen mündlichen Ermahnung des Schaffners davon, beschließe aber trotzdem für einige Zeit das Fenster nicht mehr zu öffnen.

Der Halt in Glenwood Springs ist wieder ein „Smoking Stop“ den ich abermals nutze um ein wenig in der frischen Bergluft den Zug entlang zu schlendern. Mit einem Schmunzeln stelle ich fest, dass auch deutsche Technik „mitfährt“, denn die Drehgestelle der Wagen wurden in Deutschland hergestellt.

Im Laufe der weiteren Fahrt verliert der Zug weiter an Höhe und das Tal weitet sich zur Hochebene mit Wüstencharakter. In einiger Entfernung passieren wir kurz vor Grand Junction, Colorado, den Grand Mesa, den größten Tafelberg der Welt.

Blick auf den Colorado River kurz nach durchqueren des Tunnels am „Beaver Tail“

Grand Junction – Soldier Summit

Grand Junction ist abermals ein Smoking Stop, der aber laut Ankündigung etwas länger dauern soll, da wohl versucht wird eine Toilette in einem der Wagen zu reparieren. Außerhalb des Zuges erwartet uns Fahrgäste eine segnende Hitze. Trotzdem nutze ich die Zeit um zur Zugspitze zu laufen und die beiden mächtigen Zugmaschinen etwas näher zu betrachten und abzulichten.

Kurz vor Grand Junction hat mich im Zug Owen, ein Amerikaner in meinem Alter, auf mein Buch „USA by Rail“ angesprochen welches ich ihm daraufhin spontan ausleihe. Wenig später treffe ich Owen wieder im mittlerweile fast leeren Aussichtswagen. Er hat bei einem Mountainbike-Marathon kreuz und quer durch Colorado teilgenommen und ist jetzt auf dem Heimweg nach Berkeley in der Nähe von San Francisco. Gegenüber den Zelten die er in den Tagen davor als Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung hatte, ist der Superliner-Zug für ihn der wahre Luxus. Mit dem Zug ist er deshalb unterwegs, weil er hier sein Sportgerät wesentlich einfacher transportieren kann. Wir kommen schnell ins Gespräch und unterhalten uns über Gott und die Welt.

Die Zugmaschine(n) des Zephyr beim Halt in Grand Junction

Währenddessen fahren wir durch die Wüstenlandschaft des östlichen Utahs. Nach der Schluchten- und Gebirgsdurchfahrt in Colorado dachte ich, dass es kaum besser kommen kann, doch ich werde eines besseren belehrt. Das fast komplett flache Land ist nur spärlich mit kleinen Grasbüschelchen bewachsen. Sonst gibt es hier nur Sand und Steine. Hin und wieder ist die Landschaft durch Gräben durchzogen, die im Falle eines selten vorkommenden Regens Wasser führen. In respektvollem Abstand ragen überall um uns herum Tafelberge aus hellrotem Stein in die Höhe. Wie gebannt starren wir alle nach draußen auf diese Landschaft wie aus einer anderen Welt.

Fasziniert von der Landschaft bemerke ich nicht wie schnell die Zeit vergeht. Nach dem Abendessen im Speisewagen und zurück im Aussichtswagen stelle ich fest, dass ich schon seit über vier Stunden nicht mehr an meinem Platz war. Trotzdem zieht es mich nicht vom Aussichtswagen weg.

Mittlerweile haben wir Helper, Utah, erreicht. Kurz zuvor hat sich die Landschaft in nur wenigen Minuten von der rötlichen Mondlandschaft in ein sattes Grün verwandelt. Helper verdankt seinen Namen und seine Existenz übrigens der Eisenbahn. So werden hier bis heute Hilfslokomotiven (also Helper) für die Fahrt über den Soldier Summit an- oder abgekuppelt.

Der östliche Aufstieg zum Soldier Summit verläuft eher unspektakulär. Dafür hat es die Talfahrt auf der Westseite in sich: In achterbahnähnlicher Fahrt geht es in unzähligen engen Kurven im Schritttempo wieder hinunter. Manchmal scheint man fast die Orientierung zu verlieren, nur die letzten Sonnenstrahlen geben einem noch einen Anhaltspunkt in welche Richtung man fährt. Auch neben der Strecke tut sich einiges, denn hin und wieder stehen neben der Strecke Elche, die sich durch den vorbeifahrenden Zug nicht stören lassen.

Soldier Summit – Reno

Noch bevor wir am Fuß des Soldier Summit angelangt sind ist es bereits komplett dunkel. So gehe ich an meinen Platz zurück und bereite mein Nachtlager vor. Ich bin kaum eingeschlafen da vernehme ich einen leisen, dumpfen Schlag und der Zug macht eine Vollbremsung auf freier Strecke. Meine erste Befürchtung ist, dass wir an einem Bahnübergang ein Auto gerammt haben. So etwas passiert in den USA recht häufig, es ist sozusagen fast ein Volkssport kurz vor einem Zug noch die Gleise zu passieren da man sonst bei den üblicherweise sehr langen Güterzügen lange warten muss.

Ein Schaffner klärt dann per Lautsprecheranlage auf, dass die Ursache für die Vollbremsung unbekannt ist und jetzt nach dem Fehler gesucht wird. Und schon schwärmt sämtliches Zugpersonal mit Taschenlampen bewaffnet aus um den Zug von außen und unten zu untersuchen.

Nach über einer Viertelstunde geht es dann wieder weiter in Richtung Salt Lake City. Weitere Informationen zu der Ursache der Vollbremsung erfahren wir Fahrgäste dann leider nicht mehr. Mit einem etwas mulmigen Gefühl versuche ich dann wieder setwas Schlaf zu finden.

Den Sonnenaufgang erlebe ich als der Zug die Wüste Nevadas durchquert. Der sandige Boden ist nur spärlich mit kniehohen Büschen und Gräsern bewachsen. In der Wüste rechnet man eigentlich mit Wasserknappheit, jedoch muss es vor kurzem geregnet haben denn überall stehen kleine und auch größere Wasserpfützen. Beim Auftreffen der ersten Sonnenstrahlen fängt das Wasser aber sofort an zu verdunsten, und das was ich zuerst für Rauchsäulen hielt ist in wirklichkeit einfach nur Wasserdampf der von den Pfützen aufsteigt.

Frühmorgens (in der Nacht hat der Zug übrigens ein weiteres Mal eine Zeitzonengrenze passiert) erreichen wir die Wüstenstadt Winnemucca, Nevada. Wie die meisten Fahrgäste steige ich kurz aus um meine Glieder zu strecken, bleibe aber nicht sehr lange da sich die Wüste von ihrer typischen Seite zeigt. Kurz nach Sonnenaufgang ist es hier noch bitterkalt.

Nach weiteren drei Stunden Fahrt durch die Wüste und einem Frühstück im Speisewagen erreichen wir Reno, Nevada, der kleine Bruder der Spielerstadt Las Vegas, obwohl Reno wesentlich früher entstand. Reno nennt sich auch „the biggest little city in the world“, die größte Kleinstadt der Welt. Während der Planungsphase für meine Reise hatte ich mir überlegt hier einen Zwischenstopp einzulegen, mich aber dann dagegen entschieden da Reno gegenüber Las Vegas als Spielerstadt heute kaum eine Bedeutung hat.

Von Reno selbst sieht man nicht viel. Die Bahnstrecke wurde vor wenigen Jahren in einen Trog etwa 10 Meter unter das Straßenniveau verlegt. Bis dahin haben vor allem die langen Güterzüge immer Minutenlang mehrere Hauptstraßen in der Innenstadt von Reno blockiert, von der Geräuschkulisse die diese Züge verursachen ganz zu schweigen.

Reno – Sacramento

Schon kurz nach Reno beginnt der Aufstieg zum Donner Pass. Es geht durch ein Tal welches ein wenig wie eine Mischung aus Schwarzwald und Alpen wirkt. Eine Stunde nach Reno wird Truckee erreicht. Die alte Holzfällerstadt liegt bereits in Kalifornien und ist heute ein eher verschlafenes Nest welches als Ausgangspunkt für Ausflüge zum Lake Tahoe dient. Seinen Boom erlebte Truckee kurz nach dem Eisenbahnbau. Damals gab es hier nicht weniger als 14 große Sägewerke.

Ab Truckee beginnt der Aufstieg zum Donner Pass erst richtig. Ein langes Seitental wird genutzt um Höhe zu gewinnen. Am Ende des Tals durchfährt der Zug eine lange 180° Kehre. Die Gegend ist heute wieder dicht bewaldet. Vor ca. 100 Jahren stand in dieser Gegend kein einziger Baum mehr, da für den Eisenbahnbau und die Befeuerung der Dampflokomotiven alles abgeholzt wurde.

Was im Verlauf der Strecke auch auffällt sind die  „Snow Sheds“, künstliche aus Holz errichtete Tunnel die als Schutz vor Schneemassen und Lawinen dienten und dienen. Dies ist verständlich wenn man bedenkt, dass es am Donner Pass durchschnittlich mehr als 10 Meter pro Jahr schneit.

Früher gab es noch viel mehr dieser Sheds, was heute aufgrund von moderner Technik nicht mehr notwendig ist. Was im Winter ein Segen war, war im Sommer ein Fluch: Im Dampflokzeitalter fingen die Holzkonstruktionen oft Feuer was zur Stationierung eines Feuerlöschzuges und zur Errichtung einer entsprechenden Meldestation auf einem Berg der anderen Talseite führte.

Nach einem kurzen Tunnel und einer Linkskurve fahren wir wieder in das Haupttal ein und es eröffnet sich ein wunderbarer Blick auf den Truckee Lake. Die schöne Aussicht hält allerdings viel zu kurz an, denn bald durchfahren wir den Scheiteltunnel auf 2135 Meter. Danach beginnt die Abfahrt in das Central Valley von Kalifornien nach Sacramento, dem westlichen Ausgangspunkt der ersten Transkontinentalen Eisenbahn. Der Abstieg ist leider wenig spektakulär, was weniger am Höhenunterschied und dem Verlauf der Strecke, sondern an der schlechten Aussicht liegt. Die Gegend ist so dicht bewaldet, dass so gut wie kein Ausblick möglich ist.

Mit über einer halben Stunde Verspätung erreichen wir Roseville. Wir Fahrgäste wundern uns wieso wir laut Fahrplan für die letzten 17 Meilen bis Sacramento noch über eine Stunde brauchen sollen. Am Ende brauchen wir tatsächlich nur einen Bruchteil dieser Zeit und erreichen Sacramento überpünktlich. Bei der Amtrak hat man bei der Fahrplangestaltung wohl gewisse Verspätungen einkalkuliert…

Die Delta King, ein alter Schaufelraddampfer, ist in Sacramento festgemacht und dient als Hotel.

In Sacramento endet nach 32 Stunden Zugfahrt die längste Etappe meiner Reise. Wie viele andere Fahrgäste steige ich hier aus. Nachdem ich meinen Koffer abgeholt habe mache ich mich auf den kurzen Fußweg zu meinem Hotel in Old Town Sacramento. Der Weg dorthin führt praktischerweise zuerst wieder am Bahnsteig entlang. So bleibe ich am Ende des Bahnsteiges stehen um von der Ausfahrt des Zephyrs ein kurzes Video aufzunehmen. Der Lokführer durchschaut mein Vorhaben wohl und betätigt beim Losfahren das laute Signalhorn extra nochmals und winkt mir zu, was ich erwiedere.

In Old Town Sacramento wartet ein weiterer Höhepunkt meiner Reise auf mich: Auf dem Sacramento River ist der alte Schaufelraddampfer „Delta King“ festgemacht und dient dort als Hotel. Das Schiff ist hervorragend renoviert und gepflegt und meine kleine Kabine mit Blick auf den Fluss bietet nicht nur die üblichen Annehmlichkeiten eine Hotelzimmers, sondern (und dabei vor allem das Bad) den Eindruck eines Antiken U-Bootes, so dass man sich nicht wundern würde wenn gleich Kapitän Nemo um die Ecke käme und einen zum Dinner einlädt.

Sacramento – San Francisco

Die wenigen Straßenzüge von Old Town Sacramento sind in ihrem Ursprungszustand erhalten und alles sieht so aus wie in einer alten Wild-West-Stadt. Störend sind leider nur die vielen Autos, denn für den Verkehr gesperrte Straßen findet man, wie auch in den restlichen USA, leider nur selten. Standesgemäß gibt es strahlenden Sonnenschein und sengende Hitze was mich allerdings nicht davon abhält mein Abendessen beim Mexikaner in der Loggia ein Stockwerk über der Straße einzunehmen. Der typisch amerikanische Gast bevorzugt da doch eher den klimatisierten Innenraum…

Nicht verpassen in Sacramento sollte man das California State Railroad Museum, das ich am nächsten morgen noch besuche. Neben der Geschichte der ersten Transkontinentalen Eisenbahn, die hier sehr lebendig dargestellt wird, finden sich im Museum einige sehenswerte Ausstellungsstücke. Dazu gehören ein original Speisewagen der Santa-Fe vom Southwest Chief mit dazugehörigem Schaffner und ein Schlafwagen in dem es standesgemäß „dunkel“ ist (zumindest wenn man aus dem Fenster schaut) und Fahrgeräusche und -erschütterungen simuliert werden. Das beeindruckendste Ausstellungsstück ist aber eine 4-8-8-2 Cab-Forward Dampflok deren Ausmaße und ein Gesamtgewicht von 475 Tonnen (!!!) einfach gigantisch sind.

Die 4-8-8-2 cab forward Dampflok der Southern Pacific im Califormia State Railroad Museum.

Nachdem ich auf der Delta-King meinen Koffer abgeholt habe mache ich mich wieder auf dem Weg zum Bahnhof wo ich zum letzten Mal in einen Zug der Amtrak steige. Die Strecke zwischen Sacramento und San Jose wird als einer der wenigen in den USA in einem relativ dichten Takt bedient. Die modernen Wagen des Capitol Corridor wurden über Steuergelder finanziert und sind gut besetzt.

Eine Stunde geht es fast nur geradeaus und in hohem Tempo voran, dann entlang der San Pablo Bay in vielen Kurven wesentlich langsamer. Endlich, kurz vor Berkeley, ist es soweit: Am Horizont kann ich im Nebel die Skyline von San Francisco ausmachen. Und ein wenig rechts davon kann ich schemenhaft die Pfeiler der Golden Gate Bridge erkennen.

In Emeryville ist meine Bahnreise zu Ende. Die Passagiere die bis San Francisco fahren wurden gebeten durch das Stationsgebäude hindurch zum Bus zu gehen und dort werden wir auch schon von unserem Busfahrer erwartet der die Fahrscheine kontrolliert und schweres Gepäck neben dem Bus abstellen lässt. Nachdem er das Gepäck verstaut hat, kommt „California Joe“ (den Namen entnehme ich dem Schild auf dem Armaturenbrett) in den Bus und fragt die Fahrgäste an welcher Haltestelle in San Francisco sie aussteigen wollen. Nachdem ich ihm den Standort meines Hotels erläutert habe, erklärt sich California Joe spontan dazu bereit, für mich einen extra Stop zu machen damit ich keinen so weiten Weg ins Hotel habe.

So geht es los auf den Weg über die San Francisco Bay. Als wir über die Oakland San Francisco Bay Bridge fahren ertönt aus California Joes Radio, welches nur aus Leiterplatten und LEDs zu bestehen scheint, „You make loving fun“ von Fleetwood Mac. Ein Lied das sich danach immer wieder in meinen Gedanken wiederholen wird, auch weil es so gut zu San Francisco zu passen scheint. Wie besprochen hält California Joe mitten auf der Market Street nur einen Block von meinem Hotel entfernt mitten auf der Straßean und lädt mir meinen Koffer aus. Hier an der Ecke Market St./3rd St. endet meine Reise mit der Amtrak.

Wehmütig blicke ich zurück auf meine Reise von über 5500 km durch den ganzen Kontinent. Vor mir liegen noch einige Tage in der Stadt der Cable Cars und eine Woche in im südlichen Kalifornien. Doch eines scheint jetzt schon festzustehen: Dies war nicht meine letzte Reise mit Amtrak