Vor vielen Jahren erklärte der Moderator einer Wettersendung (Sie kennen die Sendungen kurz vor oder nach den Hauptnachrichten) wie man aus einem warmen Tag einen noch wärmeren Tag machen könne. Würde man ein weißes Thermometer in die Sonne legen würde man vielleicht etwas mehr schaffen als die vorhergesagte Temperatur. Mit einem braunen Holzthermometer schafft man sicher einige Grad mehr. Aber alles wäre leicht zu toppen mit einem schwarzen Thermometer. Wer also die höchste Temperatur haben möchte, der solle ein schwarzes Thermometer nehmen und es in die Sonne legen.
Natürlich war das nur eine humorvolle Darstellung dessen, was Sie eh schon wissen: Nämlich, dass man mit einem Thermometer in der Sonne nicht die Temperatur der Umgebungsluft, sondern die Temperatur des Thermometers misst. Daher kam auch am Schluss der Satz: „Und die Moral von der Geschicht‘, die Temperatur in der Sonne gibt es nicht“.
Immer wenn Diskussionen oder Behauptungen zur Kapazität eines Bahnhofes aufkommen, fühle ich mich an die Geschichte mit dem Thermometer erinnert. Sie werden es schon erahnen, oft geht es um Stuttgart 21. „Die Kapazität reicht nicht“, „Der Kopfbahnhof hat eine viel größere Kapazität“ oder „es passen nur soundsoviel Züge pro Stunde in den Bahnhof“ sind die typischen Aussagen, die man seit vielen Jahren regelmäßig hört.
Doch was ist die Kapazität eines Bahnhofes? Meist ist dabei eine gewisse Anzahl von Zügen pro Stunde gemeint. Doch stellen Sie sich einmal vor, in einem Bahnhof fahren tatsächlich 50 Züge pro Stunde. Das könnten aber 50 Züge des Typ RegioShuttle RS1 mit je ca. 100 Sitzplätzen sein, also insgesamt gerade mal 5000 Passagiere pro Stunde. Oder aber es könnten 50 dreizehnteilige ICE4 sein. Bei 918 Sitzplätzen kommt man auf 45900 Passagiere pro Stunde.
Ist also tatsächlich die Anzahl der Züge das richtige Kriterium? Die Anzahl der Passagiere scheint doch viel besser geeignet, denn man möchte ja Menschen von A nach B transportieren, oder? Aber so einfach ist das leider auch nicht. Geht es da um Passagiere, die ankommen, abfahren, umsteigen oder erst gar nicht erst aussteigen? Werden die Fahrgäste überhaupt dorthin gefahren, wo sie tatsächlich hinmöchten? Und zwingen wir vielleicht sogar Fahrgäste zum Umsteigen an einem Bahnhof, obwohl das für manchen vielleicht sogar einen Umweg bedeutet? Und das nur weil ein Zug an einem anderen möglichen Umsteigepunkt nicht hält. Hat ein Bahnhof vielleicht sogar eine Art Blindleistung, die man zwar vorhält, aber eigentlich gar nicht notwendig ist?
Dabei kommt bei abfahrenden und ankommenden Fahrgästen noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Alle Bereiche des Bahnhofes müssen ausreichend dimensioniert sein, d.h. Bahnsteige, Treppen, Eingänge zum Bahnhof, etc. Es kommen also Dinge zum Tragen, die gar nichts mehr direkt mit der Schieneninfrastruktur zu tun haben.
Doch zurück zur Anzahl der Züge: Wann wird ein Zug als ein Zug gezählt? Wenn der Zug im Bahnhof ankommt, wenn er abfährt, oder wenn der Zug ankommt und abfährt? Ganz kreativ wird diese Zählweise, wenn man sich die Ausführungen auf „WikiReal“ zum Thema „Stuttgart21/Leistung“ anschaut1. Hier werden beginnende, endende und durchgebundene Züge jeweils als ein Zug gezählt.
Beispielsweise kommt Zug 2509 aus Weil der Stadt an, wendet am Bahnsteig, und fährt als Zug 2518 nach Weil der Stadt zurück. Dieser Vorgang wird als ein Zug gezählt. Man stelle sich aber vor, Zug 2509 würde in Stuttgart enden und in den Abstellbereich fahren. Zug 2518 würde am Bahnsteig daneben beginnen, nachdem der Zug aus dem Abstellbereich bereitgestellt wurde. Dann würde man auf einmal zwei Züge zählen. Tatsächlich würde man mehr Infrastruktur benötigen, denn zu diesem Zeitpunkt werden ja zwei Bahnsteige gebraucht. Uns es würde zu zusätzlichen Rangiervorgängen kommen. Einen Nutzen für die Fahrgäste hat das viele Rangieren gleichwohl nicht.
Letztendlich scheint der Versuch die Betriebsabläufe in einem Bahnhof auf eine einzige Kennzahl herunterzubrechen doch ein Irrweg zu sein. Und die Moral von der Geschicht‘? Die Kapazität eines Bahnhofes gibt es nicht!
1 „Sommerfahrplan 1970für Stuttgart Hbf, Mo. 6:30 – 7:29 Uhr“, http://wikireal.info/wiki/Stuttgart_21/Leistung abgerufen am 17.12.2023
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