Der Erfolg des ITF in der Schweiz ist unbestritten. Die hohen Fahrgastzahlen und die Akzeptanz in der Bevölkerung sprechen für sich. Heute gilt die Schweiz als Vorbild für einen modernen Bahnverkehr. Oft wird von Fahrgastverbänden und der Politik gefordert, das Schweizer Konzept auch auf Deutschland zu übertragen und im gesamten Bundesgebiet einen ITF einzuführen. Seit einigen Jahren wird dieses Vorhaben unter dem Namen „Deutschlandtakt“ intensiv vorangetrieben.
Doch auch in den Niederlanden ist der Bahnverkehr erfolgreich, und das ohne ITF. Zwar ging dort die Entwicklung über den ITF, das heutige System weist aber nur noch wenige Merkmale eines ITF auf. Und auch in Frankreich und Spanien ist der Bahnverkehr, dabei vor allem in Fernverkehr, durchaus ohne ITF erfolgreich.
Daraus folgt, dass der ITF nicht der einzige Weg für einen attraktiven und erfolgreichen Öffentlichen Verkehr ist. Und bei der Diskussion um das richtige Fahrplanmodell darf nicht vergessen werden, dass genau dies das Ziel ist: Möglichst viele Menschen dazu zu bewegen den Öffentlichen Verkehr zu benutzen. Man kann es nicht oft genug sagen: Der ITF ist kein Selbstzweck! Ebenso wenig ist der ITF eine Garantie für einen erfolgreichen Öffentlichen Verkehr.
Umgekehrt heißt das aber genauso wenig, dass man auf einen ITF verzichten sollte. Der ITF ist eine sehr gute Methodik den Bahnverkehr attraktiv zu machen. Allerdings muss ein ITF in der richtigen Weise und im richtigen Umfang angewendet werden. Ein stures Kopieren von der Schweiz ist dagegen nicht sinnvoll, denn der Fahrplan muss für Deutschland passen und nicht für die Schweiz.
Letztendlich geht es darum ein für Deutschland passendes Konzept zu finden welches den Bedürfnissen und den Gegebenheiten gerecht wird. Dazu müssen alle Fahrplankonzepte in Betracht gezogen werden und die richtigen Puzzleteile für Deutschland zusammengelegt werden.
Dabei können alle Möglichkeiten eines Fahrplanes zur Anwendung kommen, also der Bedarfsfahrplan, der Taktfahrplan, Rendezvous-Konzepte, der ITF und das „Niederländische Modell“. Zeitgleich mit dieser Frage sollte geklärt werden, wo welche Taktknoten notwendig sind.
Taktknoten dort wo man sie wirklich braucht
Als einfache Modellbetrachtung stelle man sich einen Bahnhof mit zwei sich kreuzenden Linien vor (Siehe Bild). Man kann jetzt annehmen, dass beide Linien in einem sehr dünnen Takt fahren, beispielsweise nur ein Mal pro Stunde (oder sogar nur ein Mal am Tag). In diesem Fall macht es sehr viel Sinn, dass die Züge sich am Bahnhof treffen. Ansonsten wäre die Wartezeit auf den nächsten Zug der jeweils anderen Linie sehr lang.
Das andere Extrembeispiel wäre ein sehr dichter Takt mit einer Zugfolge von fünf Minuten oder weniger. Hierfür ist es kaum relevant ob sich die Züge am Bahnhof treffen oder nicht. Beim Umsteigen auf die jeweils andere Linie muss man sowieso nie länger als wenige Minuten warten.
Folglich ist eine direkte Verknüpfung von zwei Linien wichtiger ist je kleiner die Taktfrequenz ist. Bei einer hohen Taktfrequenz ist eine zeitliche Verknüpfung der Linien dafür weniger wichtig. Auf ein Fahrplanmodell übertragen bedeutet dies, dass ITF-Taktknoten vor allem dort gebraucht werden, wo wenig Verkehr herrscht. Also eher in kleinen Städten und ländlichen Gebieten wo sich wenig befahrene Strecken kreuzen.
In großen Städten hingegen, wo viel Verkehr herrscht und es ohnehin schon zu einem dichten Takt kommt, ist eine direkte Verknüpfung weniger wichtig. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass tatsächlich ein dichter Takt besteht.
Die Umsetzung dieses Prinzips würde die Komplexität eines ITF in Deutschland stark reduzieren. Bisher wurde immer versucht die großen Bahnhöfe zwanghaft zu Vollknoten zu machen. Darunter leiden dann aber häufig die Anschlüsse in kleineren Städten und in ländlichen Gebieten, und das obwohl diese Anschlüsse für eine kurze Reisezeit wichtiger sind. Dabei ist die Aufenthaltsqualität an kleineren Bahnhöfen meist nicht so gut wie in großen Städten, wo man einige Minuten Aufenthalt auch sinnvoll nutzen kann. Auf der anderen Seite reduziert dies die Menge an Infrastruktur, die man an den großen Bahnhöfen für einen ITF-Vollknoten bräuchte.
Grundsätzlich würde diese Methodik also die Gestaltung eines ITF in Deutschland vereinfachen und einige der Nachteile ausgleichen. Doch welche Warte- bzw. Umsteigezeit ist noch akzeptabel?
Ein Blick auf den Fahrplan am Hauptbahnhof Zürich zeigt, dass dort eine Standzeit der Züge von 10 Minuten keine Seltenheit, sondern eher die Regel ist. Einige wenige Züge stehen sogar bis zu 20 Minuten am Bahnsteig. Wenn diese Standzeit von den Fahrgästen akzeptiert wird, die nicht Umsteigen müssen, kann auch davon ausgegangen werden, dass diese Wartezeit auch als Umsteigezeit akzeptiert wird. Außerdem ist an einem ITF-Knoten wie in Zürich eine Umsteigezeit von 15-20 Minuten keine Seltenheit.
Auch verkehren S-Bahnen in Ballungsräumen üblicherweise in einem 15-Minuten-Takt. Dies bedeutet, dass ein Fahrgast im ungünstigsten Fall 15 Minuten auf einen Zug einer bestimmten Linie warten muss (bei zeitlich beliebiger Ankunft am Bahnsteig). Aus dem Erfolg des S-Bahn Verkehrs lässt sich schließen, dass eine Wartezeit von 15 Minuten, selbst im Nahverkehr, noch akzeptabel ist.
Man kann also davon ausgehen, dass an einem Knotenpunkt eine Umsteigezeit von 15-20 Minuten noch vertretbar ist und sogar ein stressloses Umsteigen für alle Fahrgäste ermöglicht.
Welche Taktfrequenz ist also im oben genannten einfachen Modell für eine Umsteigezeit von 15 Minuten notwendig? Die Antwort ist einfach: Ein Halbstundentakt ist ausreichend. Fährt bspw. Linie A jeweils zu den Minuten 00 und 30, Linie B zu den Minuten 15 und 45 so liegt die Umsteigezeit immer bei 15 Minuten.
Dabei würden hier nur 2 Bahnsteigkanten benötigt, im Gegensatz zu 4 Bahnsteigkanten wenn sich die Züge im Bahnhof treffen. Hinzu kommt, dass die Züge der einen Linie nicht auf potenziell verspätete Züge der anderen Linie warten müssen. Dadurch wirken sich Verspätungen nicht sofort auf das Gesamtnetz aus.
Doch müssen dafür wirklich alle Linien in einem dichten Takt verkehren? Nein, denn es reicht aus wenn nur ein Teil der Linien in einem dichten Takt verkehrt. Dies ist auch nichts Neues, denn die S-Bahnen in Ballungsräumen fahren in einem dichten Takt und müssen daher nicht mit dem restlichen Verkehr im Sinne eines ITF-Knotens abgestimmt werden.
Es besteht hier also beispielsweise in Deutschland die Möglichkeit auf einigen Hauptachsen die ICE in einem 15-Minuten-Takt fahren zu lassen. Dann müsste man einzelne Regionalzüge nicht mehr im Sinne eines ITF-Knotens direkt mit dem Fernverkehr verknüpfen. Treffen sich dann dabei mehrere nur stündliche fahrende Regionalzüge an einem Knoten müssen diese natürlich nach wie vor miteinander verknüpft werden. Nur die Abstimmung zum Fernverkehr würde sich vereinfachen.
Man würde sich mit dieser Knotenstruktur in großen Städten also eher am Niederländischen Modell orientieren. Um aber wirklich einen dichten Takt auf möglichst vielen Linien herzustellen, muss man sich aus den Niederlanden noch einen weiter Punkt abschauen:
Reduzierung der Zuggattungen
Eine der gravierendsten Auffälligkeiten im niederländischen Bahnnetz ist die geringe Anzahl von verschiedenen Zuggattungen. Man kommt dort mit gerade einmal drei Zuggattungen aus1 wobei auf den meisten Strecken nur zwei verschiedene Zuggattungen fahren. Dies bewirkt, dass sich die Anzahl der Züge auf weniger Zuggattungen verteilen und dadurch jede Linie in einem dichteren Takt fahren kann.
Genau dies führt dazu, dass man in den großen Kontenbahnhöfen auf die klassische ITF-Struktur verzichten kann da man mit einem dichten Takt ohnehin immer gute Anschlüsse bieten kann.
Dies bedeutet aber nicht, dass man die Anzahl der Zuggattungen in Deutschland jetzt radikal reduzieren muss. Es ist im Grunde ausreichend, wenn auf einer Strecke möglichst wenig verschiedene Züge fahren. Statt vier unterschiedlicher Züge im Stundentakt die alle unterschiedliche Haltestellen bedienen und unterschiedlich lange unterwegs sind können stattdessen auch 2 Züge jeweils im Halbstundentakt fahren. So kann man bessere und häufigere Anschlüsse bieten. Dabei müssen Züge die im gleichen Takt fahren nicht einmal der selben Kategorie angehören. Es ist durchaus zulässig einen stündliche verkehrenden IC durch einen weiteren Regionalzug zu einem Halbstundentakt zu verdichten. Der IC bedient dabei beispielsweise eine wesentlich weitere Strecke und wird auf einem kurzem Abschnitt – dort wo die Fahrgastzahlen oder der Takt es erfordert- durch ein weiteren Zug ergänzt. In diesem Zug benötigt man für die kurze Strecke nicht denselben Komfort, dasselbe Ticket zu nutzen wäre aber eine wichtige Voraussetzung.
Der ITF auf dem Land
Auf den Hauptachsen und in großen Knotenbahnhöfen kann man also weitestgehend auf ein Niederländisches Konzept setzen. In anderen Gebieten sollte man aber auf den ITF nach Schweizer Vorbild setzen. Dort wo weniger Züge fahren, sind gute Anschlüsse wichtiger. Auf eine Reduzierung der Zuggattungen sollte man aber nicht verzichten, vor allem wenn dies den guten Anschlüssen zugutekommt.
Hierzu zwei Beispiele:
Im Deutschlandtakt geplant ist eine RE-Linie E33 von Ulm über Sigmaringen und Tuttlingen nach Donaueschingen. Hier würde man klassischerweise zwischen Sigmaringen und Tuttlingen einen schnelleren RE und einen RB zur lokalen Anbindung verkehren lassen. Aufgrund der Eingleisigkeit der Strecke wäre dies aber nur mit Einschränkungen wie z.B. einem Zweistundentakt pro Linie möglich. Stattdessen soll aber der E33 die lokale Anbindung übernehmen und an allen Zwischenbahnhöfen halten. Dadurch erreicht man nicht nur einen klaren Stundentakt und eine einfache Betriebsführung, sondern erhält auch die Möglichkeit sowohl in Sigmaringen als auch in Tuttlingen ITF-Knoten einzurichten. Dies ist ein klassischer und sehr lobenswerter Anwendungsfall des „so schnell wie nötig“-Prinzips. Dabei folgt der E33 dem Wasserfall-Prinzip und wird in Richtung Ulm tatsächlich zu einem schnellen Regionalzug. Dort verkehren dann zusätzlich RB.
Auf der Strecke Memmingen-Lindau fährt mittlerweile schon der EC München-Zürich (FV24 im Deutschlandtakt) weitestgehend in einem Zweistundentakt. Aufgrund der Eingleisigkeit der Strecke findet eine Zugkreuzung im Memmingen statt, was die Möglichkeit eröffnet hier einen ITF-Knoten einzurichten. Allerdings wird auf dem Weg nach Lindau das „so schnell wie möglich“-Prinzip verfolgt. So ergeben sich in Lindau heute und auch in Zukunft nicht immer optimale Anschlüsse. Zudem fährt der Zug in Leutkirch und Wangen nur durch, nützt den Bewohnern vor Ort also gar nichts.
Man könnte dagegen den EC unterwegs in Leutkirch, Wangen und wenn möglich auch Kißlegg halten lassen und so eine Fahrzeit von ca. einer Stunde bis Lindau erreichen. Damit könnten dann in Lindau gute Anschlüsse in allen Richtungen erreicht werden. Zusätzlich erschließt man sich durch die zusätzlichen Unterwegshalte ein größeres Fahrgastpotential. Die leicht verlängerte Fahrzeit auf der Gesamtstrecke kann man im Vergleich damit verkraften. Ein Stundentakt auf dieser Strecke ist sogar durch einen relativ kurzen Zweigleisausbau südlich von Kißlegg möglich. Dann benötigt man nur noch einen Regionalzug der im Stundentakt alle weiteren Zwischenhalte bedient. Damit hätte man einen einfachen und klaren Fahrplan der zusätzlich noch besser Anschlüsse bietet.
Der Bedarfsfahrplan: Ein Fall fürs Abstellgleis?
Bei allen Diskussionen um Taktfahrpläne könnte man meinen, dass Bedarfsfahrpläne der Vergangenheit angehören. Dies ist aber nicht der Fall. Bedarfsfahrpläne haben absolut ihre Berechtigung und sind ein wichtiger Teil eines gesamten Fahrplankonzeptes. Man denke nur an die aktuell stattfindende kleine Renaissance der Nachtzüge mit denen Fernverkehrsverbindungen angeboten werden, wenn ein Taktfahrplan keinen Sinn mehr macht. In diesen Bereich gehören auch Touristische Züge die eventuell nur Saisonbedingt oder auch nur ein Mal pro Woche verkehren.
Daneben zählen auch ein reiner Schüler- oder Ausflugsverkehr auf Nebenbahnen zum Bedarfsfahrplan. Dies kann einen wichtigen Beitrag zum Bahnverkehr und Klimaschutz leisten. Nicht zuletzt werden dadurch auch Nebenbahnen erhalten.
Ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Bahnverkehr leisten zusätzliche Züge zu den Hauptverkehrszeiten. Diese decken Bedarfsspitzen und gehören daher ebenfalls zu dieser Kategorie.
Letztendlich gibt es auch private Anbieter von Bahnverbindungen, die keinen Taktverkehr anbieten können. Es gibt hierfür durchaus eine Berechtigung in einer Nische ein Angebot zu machen, welches einem Bedarf entspricht. Allerdings darf so ein Angebot in keinster Wiese einem generellen Taktfahrplan schaden, weder bei den belegten Trassen und Taktfrequenzen noch bei den Fahrgastzahlen. Einzelne Züge, die dem Taktnetz in lukrativen Zeiträumen Fahrgäste entziehen, sind als „Rosinenpickerei“ abzulehnen.
All diese Züge kommen im Taktfahrplan nicht vor und decken nur Nischen ab, leisten aber trotzdem einen wichtigen Beitrag im Bahnsystem.
Zusammenfassung
Deutschland ist in seiner Siedlungsstruktur deutlich komplexer als Beispielsweise die Schweiz, daher ist es weitaus schwieriger einen ITF auf das gesamte Land anzuwenden. Gerade aber das System der Niederlande zeigt, dass dies gar nicht überall notwendig ist. Dort wo ein dichter Takt herrscht, ist ein ITF nicht mehr notwendig, zumindest nicht mehr in Reinform. Zumindest kann dort auf direkte Anschlüsse eher verzichtet werden als in ländlichen Gebieten wo es viel wichtiger ist gute Anschlüsse zu haben.
Das würde in den großen Knoten die Komplexität reduzieren und dabei die Möglichkeit bieten, auf den Hauptachsen auf das „so schnell wie möglich“-Prinzip zu setzen um große Strecken zwischen den großen Städten möglichst schnell zurückzulegen ohne dabei die Anschlüsse zu verschlechtern. Auf allen anderen Strecken würde man auf das „so schnell wie nötig“-Prinzip setzen das einem klassischen ITF entspricht.
1Die in den Niederlanden verkehrenden ICE und Thalys können der Kategorie InterCity-Direct zugeordnet werden.
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